Frau sein: Wandel als Wachstum
Seit ich mich mit dem Thema „Frau sein“ beschäftige, wird mir immer mehr klar, welch großartigen Kräfte in uns liegen. Unser Leben besteht aus Bewegungen, Übergängen und inneren Neuanfängen, ups and downs und Hormone nicht selten auf Achterbahnfahrt.
Schauen wir uns das Leben jedoch mal genauer an, wird deutlich, dass jede Phase ein eigenes Kapitel ist, das jeweils eigene Fähigkeiten, Kräfte, Bedürfnisse & natürlich auch Herausforderungen hervorbringt.
Die moderne, westliche Medizin teilt diese Abschnitte anhand hormoneller Veränderungen ein. Ayurveda geht hier einen Schritt weiter und betrachtet die Entwicklung der Frau als einen tiefen, rhythmischen Prozess. Körperlich, emotional und energetisch.
Diese beiden Perspektiven ergänzen sich: die moderne Sicht erklärt, was biologisch geschieht und Ayurveda zeigt uns, wie sich diese Veränderungen anfühlen. Beide zusammen ergeben ein Bild von Weiblichkeit, das realistisch und gleichzeitig kraftvoll ist.
Der biologische Rahmen
Die westliche Medizin gliedert das Leben einer Frau in Kindheit, Pubertät, fruchtbare Jahre, Wechseljahre und Postmenopause. Damit gibt sie uns Klarheit über hormonelle Abläufe und auch darüber, warum Körper und Psyche sich über die Jahrzehnte verändern.
Dennoch merken viele von uns, dass in dieser Darstellung ein Teil fehlt: jede Phase bringt eigene Formen der Identitätsentwicklung, neue Rollen und auch neue innere Aufgaben mit sich.
In der Kindheit entwickelt sich unser Nervensystem, im jungen Erwachsenwerden prägt sich unser Selbstbild, in den fruchtbaren Jahren wachsen (Eigen-) Verantwortung, Kreativität und vor allem auch eine Außenorientierung. In unseren 40er, wenn unsere Hormone uns mal ordentlich auf den Kopf stellen, entsteht ein neuer Raum für Reflexion.
Die moderne Medizin erklärt diese Veränderungen biologisch. Doch viele Frauen spüren, dass es dabei nicht nur um Hormone geht, sondern um tiefere innere Verschiebungen.
Innere Reifewege
Ayurveda ergänzt dieses Bild, indem es die Lebensabschnitte einer Frau nicht nur als körperliche Prozesse versteht, sondern eher auch als Entwicklungswege, die mit innerer Kraft und Energie verknüpft sind.
Jede Phase trägt einen eigenen Charakter, der über das Biologische hinausgeht:
Unsere Kindheit (bis ca. 10 Jahre), im Ayurveda Bāla genannt, ist geprägt von Aufbau und Schutz. Sie wird dem Kapha-Dosha zugeordnet - einer Kraft, die Stabilität, Sicherheit und Wachstum ermöglicht.
Als junges Mädchen (ca. 10-12 Jahre), Kumārī, bewegen wir uns zwischen kindlicher Neugier und schon der ersten Ahnung unserer Identität.
Mit dem Beginn der Menstruation (12-16 Jahre) kommen wir in die Phase der Rajomatī, in der nun ein monatlicher Rhythmus beginnt und die innere Welt sich langsam formt.
Das Alter der erwachsenen Frau (16-40 Jahre), Yauvatī, steht für unsere Schaffenskraft, Gestaltung, Aktivität und Verantwortung.
Ab etwa 40 Jahren beginnt die Phase der Prauḍhāvasthā. Wir sind nun die reife Frau, in der Integration und Klarheit immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Und schließlich (ab ca. 50 Jahre) folgt die Lebensphase der Vr̥ddhā, die weise Frau, in der sich unsere Energie noch stärker nach innen richtet und eine neue Form der Freiheit entsteht.
Diese Begriffe beschreiben einen natürlichen Reifeprozess, den viele Frauen intuitiv wiedererkennen.
Das Altern der Frau als wertvolle Lebensphasen
Der Blick auf das Altern könnte in den zwei Systemen kaum unterschiedlicher sein. Und das ist auch der Grund, warum ich Ayurveda so unfassbar bereichernd finde: in unserer westlichen Welt wird die Jugend romantisiert, während „alternde“ Frauen (und damit sind bei uns häufig schon Frauen ab 30 gemeint) oft mit Schönheitsnormen konfrontiert sind, die unrealistisch und oft auch unerreichbar sind. Botox, Anti-Aging-Versprechen und Optimierungsdruck sind für viele Frauen mittlerweile Alltag. Falten, graue Haare und vor allem auch ein Körper, der viel geleistet hat und das auch sichtbar sein darf, sind nicht so gerne gesehen.
Ayurveda setzt hier einen komplett anderen Schwerpunkt: Altern bedeutet nicht Verlust, sondern Vertiefung. Der Übergang in die Vata-Phase (die Lebensphase, die mehr Raum für Reflexion, Kreativität und Selbstbestimmung lässt) wird als Schritt in eine neue Form der Stärke verstanden.
Während äußere Merkmale sich verändern, entsteht innerlich oft eine größere Klarheit: vom weniger Müssen zu mehr Wollen, vom weniger Außenorientierung zu mehr Selbstbestimmung. Schönheit verliert dabei nichts an Bedeutung, sondern verändert lediglich die Quelle. Ayurveda sieht Schönheit nicht als Frage der Falten, sondern als Ausdruck eines klaren Verdauungsfeuers, eines ruhigen Nervensystems, eines ausgeglichenen Geistes und einer Lebensweise, die den eigenen Rhythmus respektiert. Das Altern ist eine Bewegung nach innen, in der Weiblichkeit eine neue Qualität gewinnt.
Wechseljahre als energetischer Neubeginn
Die Menopause wird bei uns häufig mit Defiziten assoziiert: Beschwerden stehen im Vordergrund und viele Frauen erleben diese Jahre als eine Zeit, in der sie mit ihrem Körper kämpfen.
Ayurveda beschreibt dieselbe Phase als einen Übergang in eine neue Art von Stärke. Die Pitta-geprägte Zeit der aktiven Gestaltung verwandelt sich in eine Vata-betonte Phase, in der Freiheit, Klarheit und innere Weite wachsen. Heißt, die Phase in der kreiert, Kinder groß gezogen, Karriere gemacht wurde darf nun in eine ruhigere Phase übergehen, in der wir etwas mehr Selbstbestimmung an den Tag legen. Und viele Frauen sehen im Rückblick genau das: Ein neues Lebensgefühl, das weniger von Rollen und mehr von Authentizität bestimmt ist.
Diese Sicht verändert den Blick: Die Wechseljahre sind somit kein Ende, sondern ein Richtungswechsel von äußerer Aktivität hin zu innerer Klarheit und Stärke.
Das Zusammenspiel aus moderner Medizin und Ayurveda
Wir stehen heute in einem Spannungsfeld aus Rollen, Erwartungen und Leistungsdruck. Wir sollen jung wirken, belastbar bleiben, emotional stabil sein und gleichzeitig überall funktionieren. Keine Lebensphase ist von diesen Anforderungen ausgenommen.
Das Zusammenspiel aus moderner Medizin und Ayurveda schafft genau hier Entlastung: der moderne Blick erklärt, warum hormonelle Veränderungen auftreten und wie sie physiologisch wirken. Ayurveda ergänzt dies um ein Verständnis, das die Frau nicht auf ihren Körper reduziert, sondern ihren inneren Prozess ernst nimmt.
Diese Kombination eröffnet ein neues Selbstverständnis: Frau sein bedeutet Wandel, und dieser Wandel ist ein natürlicher, wertvoller Entwicklungsweg.
Ausblick: Ayurveda und Anti-Aging
Weil Ayurveda Altern nicht bekämpft, sondern begleitet, entsteht auch ein völlig anderer Zugang zu Anti-Aging. Allein der Begriff ist somit schon nicht richtig. Nicht „jünger aussehen“, sondern „länger leuchten“. Nicht Jugend konservieren, sondern Vitalität bewahren. Nicht Falten glätten, sondern Ojas stärken (Ojas ist im Ayurveda die Essenz, die für Ausstrahlung, Immunität, Klarheit und Lebensfreude steht). Da dieses Thema so vielfältig ist, werden wir uns das gesondert anschauen.
