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Konfliktfähigkeit: Warum Harmoniesucht uns selbst schadet

 

Neulich in der Bahn - Podcast im Ohr - traf es mich wie ein Blitz. Denn das Thema kam mir doch sehr bekannt vor. Und wie ich feststelle, bin ich damit gar nicht mal so alleine.

Viele von uns kennen es: wenn es etwas Unangenehmes anzusprechen gilt, uns etwas verletzt hat oder es darum geht, Stellung zu beziehen, wird’s brenzlig. Denn das Kind so direkt beim Namen zu nennen und wirklich zu sagen, was wir denken (oder fühlen!) oder auch mal Kritik äußern...puh...das fällt uns schon mal schwer.

Stattdessen eiern wir rum, beschönigen, sagen ja, wenn wir eigentlich nein meinen, oder es ist ja doch alles halb so wild. Alles gut.

Nein, ist es manchmal einfach nicht!

Und das gilt es zu lernen, denn wer nicht für sich einsteht, schaut langfristig in die Röhre.

 

Was macht dieser unendliche Wunsch nach Harmonie mit uns? Warum sind manche Menschen mehr konfliktfähig als andere? Und woher kommt das?

 

Folgen der Harmoniesucht

Wenn uns etwas ärgert oder wir verletzt sind, schlucken wir es erst mal runter. Nicht so clever. Zum einen machen wir dadurch unserem Ärger keine Luft und zum anderen geben wir dem Gegenüber auch nicht die Gelegenheit, sich zu erklären. Denn oft sind Dinge, die getan oder Worte die gesagt wurden, überhaupt nicht gegen uns gerichtet oder gar böse gemeint.

Sprechen wir es jedoch nicht an, laufen wir Gefahr, dass sich das immer und immer wieder wiederholt. Woher soll der andere auch wissen, dass es uns verletzt oder ärgert? Wie soll er sein Verhalten ändern, wenn er nichts davon weiß?  

 

Ist das fair? Ist das ehrlich? Ist das authentisch?

 

Nein!

Und genau das ist es. Wer Konflikten immer aus dem Weg geht, verleugnet sich und seine Bedürfnisse. Steht nicht zu sich und seinen Werten, versucht immer wieder die Erwartungen anderer zu erfüllen und stellt sich selbst zurück.

Es ist damit unfair uns selbst, aber auch dem anderen gegenüber. Denn Andere wissen so nie genau, woran sie sind. Meint sie es denn wirklich so oder sagt sie das nur so? Damit schädigen wir nicht nur unserem Selbstwert immer mehr, sondern auch unsere Freundschaften und Beziehungen leiden darunter.

 

Woher kommt Konfliktscheue?

Ganz einfach: Wenn wir nicht gelernt haben auch mal unbequeme Wahrheiten auszusprechen oder in einen Konflikt reinzugehen und mal richtig dolle zu diskutieren. Wenn wir als Kind oft zu hören bekommen haben, dass unsere Bedürfnisse oder Wünsche nicht ok sind oder gar egoistisch, entwickeln wir für uns selbst natürlich einen Mechanismus, um uns das alles nicht mehr geben zu müssen – uns also selbst zu schützen vor Zurückweisungen. Sind wir aber erwachsen, ist das nicht mehr angemessen und wir verletzen uns aus obigen Gründen nur selbst und schaden uns langfristig.

Aber: da wir nun eben erwachsen sind und das erkennen können, sind wir selbst in der Lage etwas daran zu ändern.

 

Was steckt dahinter?

Grundsätzlich haben wir alle zwei Grundbedürfnisse: einerseits nach Bindung – also Zugehörigkeit und Gemeinschaft – und andererseits nach Autonomie – um selbstbestimmt den eigenen Weg zu gehen. Die beiden stehen quasi wie auf einem Schieberegler auf gegenüberliegenden Seiten.

In unserem Falle sind wir mehr auf der Seite der Bindung – wir sind überangepasst, da wir Erwartungen erfüllen möchten um nicht abgelehnt zu werden. Wir haben Angst davor, dass der andere uns zurückweist, uns nicht mehr mag. Und das hat eben den Preis, dass wir uns nicht abgrenzen.

Wir brauchen jedoch eine gewisse Abgrenzungsfähigkeit, um selbstbestimmt zu sein und uns selbst behaupten zu können. Das hat uns die Natur schon so mitgegeben: Wut und Aggression, damit wir uns verteidigen können. Hört sich nun natürlich etwas drastisch an, aber wenn man mal etwas drüber nachdenkt, macht’s schon Sinn. Ich unterdrücke meine Wut, wenn ich auf Seite der Bindung stehe. Umgekehrt kann ich mich nicht anpassen, wenn ich selbstbestimmt sein will.

 

Auf Augenhöhe diskutieren

Genau diese Abgrenzungsfähigkeit ist natürlich auch der Ausgangspunkt für Diskussionen. Harmoniesüchtige Menschen geben sofort nach, sobald ein Gegenargument kommt. „Ja, hast du auch wieder recht“, „Ach, bringt ja eh nix, zu diskutieren“ oder „Ja, hast recht und ich hab meine Ruhe“ sind so die gängigen Parolen – zum Selbstschutz.

Denn auch das kommt daher, dass sie überangepasst sind – also nicht zu den eigenen Bedürfnissen stehen. Wer ein klares Bedürfnis hat oder einen eigenen Willen, der kämpft drum. Der lässt es nicht mit einem „Ach, passt schon“ gut sein.

Und das ist der Unterschied. Ich habe mehr Kampfdrang, denn ich will ja meine Meinung vertreten, zu der ich aus vollem Herzen stehe. Und tue ich das (spüre also meine Bedürfnisse und das, was ich will) kann ich das auch ganz klar so kommunizieren. Ich will meinen Standpunkt deutlich machen und mich in dem Falle klar abgrenzen und mich nicht anpassen an die Meinung der Anderen. Ich beziehe klare Stellung und grenze mich damit von der Meinung des Gegenübers ab.  

 

Ich habe hier mal gelesen: Es lässt sich leichter auf ein Eis verzichten, wenn ich keine Lust drauf hab. 

Gute Analogie, wie ich finde. Dazu muss ich aber wissen, was ich will und brauche. Ich muss also mich selbst und meine Bedürfnisse gut kennen und auch spüren. Das unterstützt meine Diskussion.

Und sind wir mal ehrlich: wer für sich und seine Meinung einsteht, begibt sich auf Augenhöhe, wird anerkannt und man weiß immer woran man bei ihm ist.

 

Konfliktfähigkeit stärken  

Gehörst du zu den Menschen, die einen unendlichen Wunsch nach Harmonie verspüren und sich dadurch oft selbst in unschöne Situationen bringen? Die folgenden Tipps können dir behilflich sein, um deine Konfliktfähigkeit auszubauen. Das geschieht sicherlich nicht von heute auf morgen, aber auch kleine Schritte führen irgendwann zum Ziel.

 

  • Wahrnehmen

Wie immer gilt: bewusstwerden, dass du gerade so handelst. Sobald du merkst, du eierst herum, sagst ja obwohl du nein meinst, heißt es: Verstand einschalten! Ist das gerade ehrlich? Hier können auch Werte sehr hilfreich sein. Ist einer deiner wichtigsten Werte im Leben Ehrlichkeit oder Authentizität, dann handle auch so.  

  • Reflektieren

Schau nochmal in deine Kindheit zurück. Hast du streiten gelernt? Durftest du wütend sein oder wurde das direkt unterbunden? Wurden Konflikte offen und ehrlich an- und ausgesprochen? Hast du gelernt, dich selbst zu behaupten? Deine Bedürfnisse auszusprechen? Verstehe, dass du heute erwachsen bist und dementsprechend auch handeln kannst und darfst.

  • Zu deinen Bedürfnissen und Wünschen stehen

Wichtig ist, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und zu diesen auch zu stehen. Stell dich und deine Wünsche nicht hintenan, sondern sei dir selbst treu. Es ist total ok, dass deine Wünsche anders aussehen, als die des anderen.

  • Auch mal anecken

Verstehen, dass ein Konflikt kein Weltuntergang ist. Wenn du zu dem stehst, was du willst und deine ehrliche Meinung vertrittst, kann es natürlich mal sein, dass es etwas quietscht. Aber das bringt dich weder um, noch wird es die Beziehung zum Gegenüber zerstören. Im Gegenteil: Du stehst zu dir und der andere weiß woran er ist.

  • Üben

An Kleinigkeiten kannst du üben, zu dir und deinen Bedürfnissen zu stehen. Wenn der Kollege dich um einen Gefallen bittet, du aber selbst genug zu tun hast: ein ehrliches und freundliches „Nein“. Wird er verstehen.  Sprich aus, wenn dich was verletzt oder ärgert. Auf lange Sicht ist das für deinen Seelenfrieden essentiell. Denn herunterschlucken führt oft auch zu Groll und Negativität. Ehrlich und authentisch – für dich und auch für deine Mitmenschen ein Gewinn.  

 

Ohne Konflikte keine Entwicklung

Jeder Mensch ist einzigartig. Und so auch die Wahrnehmung, die Wünsche und Bedürfnisse. Wäre seltsam, wenn hier alles harmonisch wäre, oder? Daher ist es nur logisch, dass es im Miteinander ab und an mal rummst. Es kann aber kein Konsens gefunden werden, wenn man toter Mann macht oder sich immer wieder anpasst und damit selbst verleugnet. Daher sollten wir alle lernen, wie man richtig streitet und diskutiert.

 

Also schneide ich mir an einigen Menschen in meinem Umfeld eine Scheibe ab und lerne. Denn sind wir mal ehrlich: nur durch Reibung entwickeln wir uns auch selbst weiter. Wir reflektieren, überdenken Meinungen und wachsen daran.  

 

P.S.: Hier könnte auch der Blogartikel zum Thema "Grenzen setzen" interessant sein;-)

 

 

Foto:  Alexandra Gorn via unsplash  

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