Wir leben in einer Zeit, in der Fake News an der Tagesordnung sind. Täglich kommen neue Weisheiten auf und alle scheinen ihre Berechtigung zu haben. Lesen wir heute etwas in Fachmagazinen zu bestimmten Themen, sind sie morgen bereits wieder hinfällig.
Was soll und darf man glauben?
Hier kommt das Thema (An-) Zweifeln ins Spiel. Denn, wie schon vor mehr als 200 Jahren Karl Marx feststellte: „An allem ist zu zweifeln.“
Ja, zweifeln ist nicht gerade en vogue. Und hier lasse ich das Thema Selbstzweifel einmal völlig außen vor, denn das ist eine ganz andere Geschichte.
Zweifeln generell, ist anstrengend, nervenaufreibend, quälend und raubt uns manchmal sogar den Schlaf. Wir möchten nicht hin- und hergerissen sein und uns unsicher fühlen. Im Gegenteil: der Mensch strebt nach Klarheit und Gewissheit. Daher sind Zweifel alles andere als willkommen. Sie stören unsere Balance.
Zudem sollten wir doch heute in allen Bereichen klar wissen, wie der Hase für uns läuft, oder? Sieger zweifeln nicht – so wird uns überall vorgebetet. Niemand gibt gerne zu, dass er vielleicht nicht ganz so genau weiß, was er will, kann oder woran er glauben soll. Zweifel zu zeigen ist leider uncool und wir verurteilen uns oft selbst dafür, dass wir es wagen zu zweifeln.
Dabei haben Zweifel durchaus ihre Berechtigung.
Die Art zu denken beeinflusst die Art unserer Entscheidungen
Interessant ist, erst einmal zu verstehen, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir nicht alles einfach hinnehmen, was uns begegnet, sondern dem auch mal skeptisch begegnen.
Wer vielleicht das Buch des Psychologen Daniel Kahneman „Schnelles Denken, langsames Denken“ * gelesen hat, kennt bereits einen der wichtigen Ansätze aus der Psychologie.
Kahneman unterscheidet zwei Arten des Denkens: „schnell und schmutzig“ und „langsam und genau“. Unser Gehirn arbeitet damit mal im schnellen, mal im langsamen Modus. Da die Prozesse unseres Denkens dahinter derart unterschiedlich sind, nennt er sie System I und System II.
Je nachdem, in welchem Denkmodus wir uns befinden, hat es Auswirkungen auf die Art, wie wir Entscheidungen treffen. Und das ist wichtig zu verstehen.
In System I – dem schnellen Denkmodus – sparen wir Zeit, Mühe und vor allem Energie. Dem ersten Impuls wird nachgegangen und jede Art von Zweifel wird unterdrückt. Wir vertrauen auf die Informationen, die uns vorliegen und handeln danach. Alles wird ausgeblendet, außer das für uns Naheliegende. Wir handeln leichtgläubig, denn wir hinterfragen hier nicht. Genau dies ist bei Hetze oft der Fall.
In System II dagegen, geht unser Gehirn rational und auf die komplizierte Art vor. In diesem langsamen Denken hinterfragen und zweifeln wir an. Wir identifizieren und stellen fest, suchen sorgfältig nach Struktur und machen einen Plan für uns.
Kurz: Wir denken im ersten Schritt im System I intuitiv und beginnen erst dann zu hinterfragen, sobald wir kurz innehalten. Hier ziehen wir dann System II zurate, indem wir beginnen, kritisch zu denken und and dem zu zweifeln, was uns gerade vorliegt.
Nicht alles muss hinterfragt werden
Würden wir jedoch an allem und jedem zweifeln, könnten wir morgens nicht einmal einen Kaffee zubereiten. Hier hat die Natur schon mitgedacht und uns mit einem Impuls ausgestattet, der uns hilft, schnelle Entscheidungen zu treffen, ohne lange nachdenken zu müssen oder alles zu hinterfragen.
Denn denken wir morgens drüber nach, wie wir aus dem Bett kommen und welche Schritte wir (manchmal noch im Halbschlaf) nacheinander „abarbeiten“? Nein! Denn das geschieht automatisch.
Dieser Mechanismus, der es uns ermöglicht, sofort Antworten zu bekommen, wird als kognitive Geschlossenheit bezeichnet. Das Bedürfnis danach ist bei manchen stärker ausgeprägt als bei anderen. Daher entscheiden diese Menschen oft schnell, damit sie nicht länger über eine Entscheidung nachdenken müssen. Dies führt jedoch oft zu übereilten und unbedachten Entscheidungen, nur damit sie den Zustand nicht aushalten müssen.
Heute sind es jedoch ebenso fehlende Zeit oder Stress, die das Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit erhöhen. Zweifel werden beiseite geschoben und Entscheidungen manchmal unüberlegt und zu früh getroffen. Einfach weil wir keine Zeit haben oder gerade völlig gestresst vom Alltag sind. Wer auf Fake News reinfällt, muss sich daher nicht unbedingt schämen. Er konnte eventuell einfach nicht lange genug darauf eingehen und infrage stellen.
Das Positive an Zweifeln:
Wer nicht zweifelt, tendiert zum Schwarz-Weiss-Denken und handelt vorschnell. Schwierigkeiten werden unterschätzt und die Enttäuschung ist am Ende des Tages groß. Zweifel bringen daher durchaus Positives mit sich.
Menschen, die zweifeln, wird ein hohes Maß an Urteilsvermögen zugesprochen. Sie durchdenken, hinterfragen und versuchen verschiedene Perspektiven einzunehmen. Sie lassen sich nicht vom schnellen Denken überlisten und sind damit oft frei von Vorurteilen und falscher Intuition. Sie handeln logisch und rational.
Wer zweifelt und hinterfragt, lotet Optionen aus, da er in Szenarien denkt. Außerdem sind Zweifler umsichtiger und oftmals achtsamer. Gerade in gesundheitlichen Angelegenheiten zahlt sich das aus.
Zweifeln bedeutet: Fragen stellen, kritisch sein, nicht alles einfach hinnehmen, was uns täglich begegnet. Vor jedem Neuanfang, vor jeder Idee sollten wir kurz innehalten und hinterfragen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob wir zweifeln können, sondern ob wir es wollen. Wir hinterfragen nämlich nur dann, wenn etwas nicht in unser Bild passt. Finden wir etwas gut, zweifeln wir dies nur selten an. Eigentlich müssten wir auch hier kritisch sein, oder?
Zweifel ist eine der schärfsten Waffen der Vernunft, heißt es. Ohne sie gäbe es keine Entwicklung und keine bahnbrechenden Erfindungen. Die bedeutsamsten Entdeckungen der Welt konnten nur gemacht werden, indem irgendwer nicht einfach den Stand der Dinge hinnahm, sondern hinterfragte. Wir würden sonst sicher heute noch glauben, die Erde sei eine Scheibe.
Also lasst uns weiter zweifeln :-) Jedoch - wie immer – in Maßen!
* unbezahlte Werbung, da Namensnennung
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