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Stille: Warum wir dringend öfter Ruhe brauchen

Vor Kurzem habe ich mich auf ein für mich neues Territorium gewagt: Ich wollte von Assisi nach Rom wandern. Alleine. Mit nichts außer meinem Rucksack, meiner GPS App und... meinen Gedanken, in freier Wildbahn.  

 

Also startete ich. Ich lief und lief und lief. Keine anderen Pilger weit und breit. Niemand, mit dem ich hätte sprechen können. Ich war mir selbst völlig ausgeliefert. Anfangs noch über Gott und die Welt nachgedacht, war ich mir sicher: "So wird es nun knapp zwei Wochen lang. Da habe ich ja Zeit und kann philosophieren.“  

Doch nach ein paar Tagen geschah etwas Seltsames: Ich wurde für meine Verhältnisse viel gelassener und ich dachte nicht mehr wirklich viel (außer vielleicht, wie ich nun über diese Riesenpfütze oder auf diesen Berg kommen sollte). Wie auf Autopilot im positiven Sinne wanderte ich durch Regen und Matsch. Teilweise wusste ich nicht, wie ich von A nach B gekommen sein mochte. Unterbewusst muss ich natürlich den Anweisungen meines GPS gefolgt sein, sonst wäre ich sicherlich in Kroatien gelandet. Dennoch: Ich war völlig verblüfft. Denn was definitiv zu meinen Kernkompetenzen zählt: meine Denkmaschine arbeitet den ganzen Tag – und bringt mich oft auch nachts um meinen Schlaf. 

 

Ich war so zufrieden mit mir und der Welt – egal ob es steil den Berg hochging, es aus Eimern goss oder ich im Matsch versunken bin. Und diese Zufriedenheit und Gelassenheit war mir neu.

Wie wichtig die Stille jener Tage, die Natur, das Vogelgezwitscher und die Geräusche von vorbeirauschenden Flüssen für mich waren, wurde mir erst bewusst, als ich am Ende in meine Herzenstadt Rom eingelaufen bin. Für mich immer der Traum: Am Petersdom das Erreichte feiern. Und ich fühlte: nichts außer Enttäuschung. Es war laut und es war voll. Und schwupps...war meine Gelassenheit dahin und auch mein Gehirn war wieder auf Hochtouren im Einsatz.

Was war geschehen? Was hatten die vorigen Tage mit mir gemacht und warum? Das wollte ich unbedingt wissen. 

Eine Erklärung:  

 

Ständige Reizüberflutung

Wir sind heute mehr denn je ständigen Reizüberflutungen ausgesetzt. Zu viel von Allem: Bilder, Menschen, Geräusche, Gerüche, Müll....wir erleben so viele Reize im Overload. Ständig in Eile, alle drei Minuten auf das Smartphone schauen und vermeintlich niemals Ruhe. So sieht unser Alltag aus. Mit irgendwas lenken wir uns immer ab. Selbst wenn wir „entspannen“, lesen wir ein Buch oder hören sanfte Musik. Völlige Stille? Eine Seltenheit.

 

Lärm macht krank

Dass dieses "ausgesetzt sein" von ständigen Geräuschen oder sonstigen Ablenkungen Stress verursacht, wissen wir denke ich alle. Tatsache ist: Der Körper schüttet die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin aus. Der Blutdruck steigt. Wir sind somit immer in Hab-Acht-Stellung, unter stetiger Grundanspannung und ein Herunterfahren ist so gut wie unmöglich. Weder unser Körper noch unser Gehirn bekommt eine Pause.

Das Ergebnis: Einschränkungen in Kreativität, Konzentration, Gesundheit, Schlaf und vieles mehr. Hallo Burn-out, Herzinfarkt, Schlaganfall... um nur einige drastische Folgen zu nennen.

 

Lärm und Trubel ist für uns oft aber auch eine sehr willkommene Ablenkung. Wir müssen nicht nachdenken über uns, über unser Glück, unser Leben, unsere wirklichen Träume und Bedürfnisse. Das kann man auch durch „übertriebene“ Aktivität super verdrängen. Somit eine sehr gern gesehene Ablenkung von der Selbstreflektion und damit gerade in unserer westlichen Welt durchaus beliebt. Uns vor Unangenehmem drücken...darin sind wir alle Weltmeister.

 

Unser Gehirn braucht ab und zu eine Auszeit

Wir brauchen jedoch die Stille, um wieder Energie zu tanken und unser Gehirn zu „entspannen“. Auch ein Gehirn braucht mal ne Pause. Denn wie wir alle wissen, ist unser Gehirn für vieles in unserem Körper zuständig. Warum es nicht auch mal in den wohlverdienten Feierabend schicken? Interessant ist, dass wir uns dessen langsam Bewusst werden. Warum steigt sonst die Nachfrage an Meditationskursen, Yoga, Wald-Baden oder Natur-Therapie derzeit so rasant an? Ein Wochenende im Kloster zum Schweigen oder eine Woche im Meditationsseminar?

Anscheinend haben wir verstanden, dass wir dringend Ruhe brauchen.

 

Wie hilft uns die Stille?

(kurzgefasst)

 

  1. Weniger Stresshormone: Die Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin werden reduziert (da für den Körper ja keine Notwendigkeit besteht) und ermöglichen damit eine „echte“ Entspannung. Wir können unsere Ressourcen aufladen.
  2. Weniger Krankheiten: Durch diese Reduktion wird ausserdem auch die physische Gesundheit gefördert, da die Nebenprodukte Zucker und Blutfett ebenso reduziert werden. Damit sinkt automatisch das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalls.
  3. Mehr Platz im Gehirn für Neues: So abgefahren hochleistungsfähig unser Gehirn auch ist, es braucht dennoch Zeit um Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten. Wo kein Reiz, da auch keine Arbeit für unser Gehirn und damit: Raum frei für Neues.
  4. Unser Gehirn wächst: Durch dieses Freiwerden von Bereichen wachsen im Teil des Hippocampus neue Zellen. Das ist der Bereich für Gedächtnis und Lernfähigkeit. Das bedeutet, Stille hilft uns beim Lernen und lässt uns besser auf Abgespeichertes zugreifen.
  5. Zeit zum Verarbeiten: In Ruhe sind wir in der Lage Erlebnisse zu verarbeiten - positiv wie negativ. Wir können Gedanken nachhängen, über unser Leben nachdenken oder einfach ein bisschen träumen. Daher aber auch die Angst: Stille deckt auf. Fehler treten zum Vorschein und müssen eingestanden werden, Ängste zeigen sich oder auch Trauer will bewältigt werden. Hier muss man aber nicht alleine durch und kann sich immer auch professionelle Hilfe holen.
  6. Höhere Leistung: Stille aktiviert das sogenannte Default Mode Netzwerk im Gehirn, da von Aussen keine Reize kommen, die verarbeitet werden möchten. Es werden Regionen im Gehirn aktiv, die sonst durch Lärm und Reize belagert sind. Wir können damit in der Stille auf mehr Gehirnareale zugreifen und uns besser konzentrieren. Innere Bilder tauchen plötzlich auf, Ideen können sprudeln, vieles ergibt plötzlich Sinn.

In Summe also nur Gutes für uns: weniger Stresshormone, dadurch weniger Krankheit, Ressourcen werden aufgeladen, Areale im Gehirn freigeräumt, neue Gehirnzellen wachsen. So können wir Zusammenhänge besser erkennen, Gedanken und Erinnerungen und auf Ideen zugreifen. Unser Gehirn funktioniert besser, vernetzter und kreativer.

Kein Wunder also, dass ich in den knapp zwei Wochen einfach zufrieden und frei war. Ich Dinge plötzlich viel deutlicher erkennen konnte und mir vieles in den Kopf schoss, von dem ich nicht mal mehr wusste, dass ich es in den Tiefen meines Gehirns abgespeichert hatte.

 

Wir sollten versuchen, zumindest ein kleines Stück mehr Stille in unseren Alltag zu lassen, um damit einfach mal wirklich runterzukommen. Sei es durch Oropax in der Nacht, Meditationskurse, Smartphone, Radio und Fernseher abends abschalten oder am Wochenende völlig alleine im Wald verschwinden: das sind wir uns, unserem Gehirn und unserem Körper doch wirklich schuldig, oder? 

 

 

 

Die Geschichte zum Bild

Natürlich wurde dieses Foto auf dem Weg nach Rom aufgenommen. Ich habe genau dieses gewählt, da ich es faszinierend finde, dass dies nur 15km von der Metropole entfernt ist. Völlige Ruhe. Nichts ausser Vogelgezwitscher hinter mit und der Wind, der das Gras rauschen lässt. Ich war so oft so ergriffen von der Schönheit der Natur - ich vergesse das immer wieder.

 

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