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Haben und Sein: Warum uns Konsum nicht glücklich macht

 

„Man kann Glück nicht kaufen“, so heißt es. Naja, kann man mal so stehen lassen, denn kennen wir nicht alle dieses Glücksgefühl, wenn wir uns was „gegönnt“ haben? Oder ist unsere Laune nicht schon mal gestiegen, wenn wir schlecht drauf waren und wir uns dann was gekauft haben? Ich hab mir zu meinem Geburtstag eine (immerhin gebrauchte) Apple Watch geschenkt. Glücksgefühl hoch 80 – für einen Tag;-)

 

Wir alle wissen: Kaufen und Konsum regen – wie bei Drogen oder Sex - das Belohnungszentrum im Gehirn an. Ist halt auch geil:-) Daher wird Shoppen jedoch auch oft mehr oder weniger unbewusst eingesetzt, um die Laune zu heben: Ich gönn mir was, wenn ich frustriert bin oder ich belohne mich, wenn ich etwas geschafft habe.  

Wir wissen aber auch: dieses Glück ist nur von kurzer Dauer, denn wenn der Kick vorbei ist, lässt auch das Glücksgefühl nach. Tja... und dann muss nachgelegt werden um wieder auf das identische Level zu kommen. Hallo Teufelskreis.  

 

Dass wir das Meiste, was wir anhäufen gar nicht brauchen, ist wohl jedem klar. Warum machen wir es aber dennoch? Die Antwort ist wie so oft: es ist evolutionsbedingt. Die Wurzel dieses Shopping- und Konsumwahns liegt tatsächlich in der Steinzeit. Dort musste nämlich angehäuft werden, denn es konnte ja zu Engpässen kommen. Man musste zugreifen, wenn sich die Gelegenheit bot. Unabhängig davon, ob es zu dem Zeitpunkt wirklich gebraucht wurde.  

Hier hat sicher auch die Horterei ihren Ursprung. Ich sag nur „Klopapier und Nudeln“. Meine Herren, wären es wenigstens Dinge gewesen wie in Italien oder Frankreich...da lache ich immer noch über uns spaßbefreiten Almans:-)    

 

Globale Auswirkungen des Konsums  

Unser Konsumwahn und den Antrieb immer mehr haben zu wollen wirkt sich nicht nur auf unsere Stimmung (und den Geldbeutel) aus. Durch Fast Fashion fördern (und fordern?) wir beispielsweise Ausbeutung von Menschen und Kindern in den Ländern, in denen die Kleidung hergestellt wird. Sie arbeiten bekannterweise für einen Hungerlohn zu unmenschlichen Konditionen, sind oft Giften ausgesetzt und und und. Verpackungen erhöhen unseren abartigen Müllberg ins unendliche und Plastik schwimmt dort herum, wo es nicht sein sollte. Inzwischen sogar im Blut – na super.  

Wir kaufen weltweit statt regional (weil billiger) und fördern so den Transport quer durch die Welt. Die Liste ist unendlich.    

 

Haben und Sein  

Dass uns (und der Welt) das alles nicht wirklich gut tut, sondern – im Gegenteil – uns sogar oft unglücklich macht, ist eigentlich klar. Wir haben immer mehr das Gefühl, uns fehlt dies und das. Angeschürt natürlich von sämtlichen Marken und Influencer*innen, die das alles bewerben. Ich kann mich da gar nicht rausnehmen (auch wenn ich es gerne täte:-)). Ich scroll durch Instagram und werde zugeschüttet von Dingen, die mir angeblich in meinem Leben fehlen.

 

Es gibt ein Buch des Sozialpsychologen Erich Fromm, in dem er davon spricht, dass unsere Gesellschaft davon bestimmt ist, immer mehr danach streben, mehr zu besitzen und das eigentliche SEIN vergessen. Sein Buch trägt daher auch den Titel „Haben oder Sein – die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“. Man mag es kaum glauben, aber das Buch ist vor mehr als 40 Jahren erschienen. Unglaublich, wie ich finde. Schon im Jahr 1976 hatten wir scheinbar dieses Thema. Und das eben sogar noch bevor Shoppen so einfach war. Als es noch keine Smartphones und Amazon gab.

 

Fromm stellt zwei Lebensweisen bzw. Existenzweisen dar: Das HABEN auf der einen, und das SEIN auf der anderen. Es sind zwei unterschiedliche Arten der Orientierung sich selbst – aber auch der Welt gegenüber. Zwei Arten von Charakterstruktur, die das beeinflussen, was wir denken oder fühlen.

  • Haben

Hier steht Besitz und Besitzergreifen im Mittelpunkt. Ich möchte alles und jeden – auch mich selbst – besitzen. Ich definiere mich über mein „haben“ und somit bin ich was ich besitze. Logisch, dass ich dann immer mehr das Verlangen nach mehr habe. Es gibt kein Genug und damit bin ich im gefangen – im Teufelskreis des Mangels. Ich bin nie zufrieden, da ich immer mehr haben will. Denn nur durch materiellen Reichtum bin ich wer. Problematisch kann es werden, wenn es in Gier übergeht. Und das ist leider nicht selten der Fall.

  • Sein

Hier müssen wir zwei Formen unterscheiden. Die eine ist das Gegenteil von Haben – also eine ehrliche, authentische Beziehung zur Welt. Die andere Form ist das Gegenteil vom Schein. Daher kommt auch die Begrifflichkeit „Mehr Schein als Sein“. Hier ist die wahre Natur des Menschen gemeint (im Gegensatz zum vorgespielten, trügerischen Schein).  Ich definiere mich also über mein Sein, mein Ich, meine Werte.

 

Es liegt also auf der Hand, was die schönere Art ist, das Leben zu leben. Möchte ich mich mit materiellen Dingen beschäftigen und mich darüber definieren wer ich bin und was ich bin, oder möchte ich mich mit meinem wahren Ich und meinen Mitmenschen, deren Werte und der Natur beschäftigen? Hier kommt sicher bei einigen die Sinnfrage: Wofür lebe ich?

Die Kernaussage der unzähligen Minimalismus-Bücher und Blogs macht es deutlich: mehr Zeit für das, was wir lieben. Der Grundgedanke des Minimalismus ist ja der: wer weniger besitzt, hat bspw. weniger Unordnung in der Bude. Dadurch auch weniger Chaos im Kopf und Raum für klare Gedanken und Kreativität. Und natürlich mehr Zeit für das, was uns wirklich glücklich macht: Zeit mit den Liebsten und schöne Momente erleben.

 

Vom Haben zum Sein: oder weniger Haben und mehr Sein  

Für Erich Fromm bedeutet ein Leben im Sein, dass wir nur das produzieren, was wir wirklich brauchen. Nicht die Wirtschaft in den Fokus setzen und damit auch die Natur weniger ausbeuten. Wettbewerb durch Solidarität ersetzen und vor allem dadurch auch menschliches Leid verringern.

Was bedeutet das für uns?

Einfach bewusster sein. Bewusst kaufen, hinterfragen: Brauche ich das gerade wirklich oder will ich es lediglich haben? Und die Frage dahinter: Warum will ich das nun gerade kaufen? Warum denke ich, dass ich das brauche? Was gibt es mir und was soll dadurch kompensiert werden? Kann ich die vermeintliche Lücke – oder den Mangel – nicht anders ausgleichen? Was fehlt mir denn wirklich?  

 

Die Zeit die wir beim Shoppen verbringen (sei es on- oder offline), lieber mit Menschen verbringen und am Leben teilhaben. Natürlich dürfen auch Sein-Menschen Dinge besitzen – jedoch hat dieser Besitz für sie keine sinnstiftende Bedeutung, sondern lediglich eine Funktion. Es ist auch nichts Schlechtes, was Neues zu kaufen. Es ist nur dann nicht ganz so cool, wenn wir damit unsere Stimmung regulieren möchten.  Jeder kann sich im Alltag ab und zu mal hinterfragen: bin ich nun gerade im Haben oder im Sein? So können wir uns wieder kurz besinnen, was uns denn wirklich wichtig ist.        

 

 

Foto:  

Erik Mclean via unsplash                      

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